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Tomás Gutiérrez Alea | Biographie | Filmographie | Interviews

LA ÚLTIMA CENA

DAS LETZTE ABENDMAHL

Tomás Gutiérrez Alea, Cuba, 1976

120 Min., Spielfilm, ICAIC; Farbe,35 mm


Filmkritiken:

Interviews


E. Valper:

"(...) Die Welt, die uns in LA ÚLTIMA CENA gezeigt wird, ist von ungleichen Personen bewohnt. Der Graf (er repräsentiert die Macht), der Sklavenaufseher und der Sklavenjäger (die Unterdrückung), der Zuckerverarbeitungsmeister (maestro de azúcar) (der Typ eines Liberalen, der ablehnt, was geschieht, sich jedoch nicht zu sehr kompromittieren will), die Sklaven (die Ausgebeuteten) und der Kaplan (barmherzig, aber fatalistisch an das Rad der Macht gebunden). Und innerhalb dieses Universums die Widersprüche: der Negersklave des Grafen, der sich auf einer höheren Stufe als die Sklaven der Zuckerfabrik befindet, einige Schwarze suchen Wege, wie sie ihre Lebensbedingungen individuell verbessern können; einer fordert die Freiheit als christliche Gabe, andere tragen in sich den Keim der Rebellion. In dem Augenblick, in dem Tomás Gutiérrez Alea alle diese Faktoren am Ende der Feier der Karwoche der Katholischen Kirche in Bewegung setzt, betritt er ein Terrain, das bis dahin förmlich zum Privatbesitz des genialen Luis Buñuel geworden war. Die Tatsache, daß er diese Probe mit Erfolg bestanden hat, beweist den Grad der Reife, die er als Filmregisseur erreicht hat. Dennoch gibt es keinen direkten Angriff gegen die Religion. Im Mittelpunkt der Kritik stehen die Gefräßigkeit der Macht und ihre schäbigen Pläne zur Bereicherung um jeden Preis. Ausdrucksvoll pulverisiert er die unge-rechten Strukturen eines Systems, das es erlaubt, daß einige wenige auf Kosten des Hungers der Mehrheit gut leben. Was man gegen die religiösen Predigt als tadelnswert anführen könnte, ist der Nutzen, den der Graf daraus zieht, um seine Sklaven die Resignation einzutrichtern. Die Anekdote, die er über den Heiligen Franz von Assisi erzählt, ist sehr überzeugend. Ebenso die witzige Anekdote des Sklaven Sebastián über den Kampf des Guten mit dem Böse. Sie repräsentiert den Widerspruch zur Sanftmut, die der Graf im Namen Gottes vorschlägt. In dem offenen Schluß läßt Gutiérrez Alea einen der zwölf Sklaven, die gemeinsam mit dem Grafen am letzten Abendmahl teilgenommen haben, am Leben. Dabei erinnert er bewußt an das letzte Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern feierte. Gleichzeitig erklärt er seine Absicht mit schönen Bildern: durch den Flug eines Vogel, den reißenden Strom eines Flusses und den ungestümen Galopp einiger Pferde. Sein vorangegangener Film UNA PELEA CUBANA CONTRA LOS DEMONIOS war noch befangen in der nicht vollendeten Suche nach einer revolutionären Sprache (trotz der unbestreitbaren künstlerischen Vorzüge). jetzt, befreit von seinen Dämonen liefert er uns sein perfektes Meisterstück. Einmal mehr zeigt sich das kubanische Kino in seiner ganzen Vielfältigkeit.

Bohemia Nr. 46, Havanna, 18.11.1977
(zit. n.: 8. Internationales Forum des Jungen Films: Informationsblatt Nr. 38, Redaktion Peter B. Schumann, Berlin 1978)

Derek Malcolm:

"Tomás Aleas LA ÚLTIMA CENA ist ohne Zweifel der bedeutendste kubanische Film seit Humberto Solas LUCIA; er verdient, neben Aleas früheren Film MEMORIAS DEL SUBDESAROLLO gestellt zu werden. Situiert in den letzten Monaten des 18. Jahrhunderts, berichtet der Film vom unvermeidlichen Scheitern der paternalistischen Bemühungen eines religiös gesinnten Zuckerplantagenbesitzers, der sich während der Karwoche von seiner eigenen spirituellen Reinheit überzeugen möchte, indem er seinen Sklaven gegenüber einen Akt der Freigebigkeit vollzieht. Er lädt zwölf von ihnen - darunter einem, dem nach einem Fluchtversuch gerade das eine Ohr abgeschnitten wurde - zu seiner eigenen Version des Heiligen Abendmahls ein, wobei er selbst die Rolle eines christusgleichen Wohltäters einnimmt. Diese eine lange Sequenz allein, in welcher er und die Sklaven sich durch Sprechen und Trinken in Betäubung versetzten, kann mit Buñuel verglichen werden, nicht nur in der Kraft der Argumentation, sondern auch im Tonfall von Ironie und Humor, die die Szene auszeichnen (...) Der Film ist ganz einfach ein Meisterwerk des lateinamerikanischen Kinos."

Programmheft des 21. Londoner Filmfestivals, 1977
(zit. n.: 8. Internationales Forum des Jungen Films: Informationsblatt Nr. 38, Redaktion Peter B. Schumann, Berlin 1978)

Mario Rodríguez Alemán

"(...) Welche Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Religion? In Spanien befindet sich die Inquisition zu dieser Zeit nach auf ihrem Höhepunkt, und in Kuba widmen sich die Priester der Christianisierung der Schwarzen, was eine schier unmögliche Aufgabe war, da die verschiedenen, mit den schwarzen Sklaven auf die Insel importierten afrikanischen Religionen eine Christianisierung erschwerten. LA ÚLTIMA CENA die Nachgestaltung der letzten Zusammenkunft Jesus mit seinen zwölf Jüngern: das Mahl des Grafen, des Besitzers der Zuckerrohrplantage, mit zwölf seiner Sklaven. Dieser Sarkasmus, der sich zuweilen ins groteske steigert, verfolgt verschie-dene Absichten. Die Hauptintention ist es, zu verdeutlichen, wie die herrschende Klasse sich die Religion zunutze macht, um die Ausbeutung zu rechtfertigen. Der Graf spricht zu den Schwarzen über Gottesfurcht, und demgegenüber befinden sich die Schwarzen in einem Zustand totaler Hilflosigkeit. Das religiöse Konzept des Grafen ist das der schützenden Liebe des Herren als Entsprechung der religiösen Liebe göttlicher Art. Er gibt seinen Worten den Anschein von Frömmigkeit und von Trost, der Grundlage zur Rechtfertigung der dauernden Ungerechtigkeit, der die Sklaven unterworfen sind. LA ÚLTIMA CENA, ein Werk lebendiger Dialektik, macht deutlich, wie die Ideologie den Klasseninteressen dient. Die Darstellung, wie mitten im 18. Jahrhundert der Herr mit seinen Sklaven am gleichen Tisch sitzt, ist nicht mehr als ein Vorwand, um zu zeigen, daß diese Klassen weder harmonisiert noch in Übereinstimmung gebracht werden können, und daß die so ange-wandte christliche Güte ein Hilfsmittel ist, dem nur die Gewalt folgt. Aber diese Gewalt hat zwei Formen: die des Kampfes für Gleichheit und Freiheit und die der Unterdrückung. LA ÚLTIMA CENA entwickelt sich auf drei sichtbaren Ebenen. auf der der Produktionsverhältnisse, auf der der theologischen Diskussion und auf der des Klassenkampfes. Die gleichzeitige künstlerische Vermittlung dieser Phänomene macht den ästhetischen und künstlerischen Erfolg dieses Filmes aus. Die Macher haben darauf hingewiesen., daß sie nicht versucht hätten, die Epoche plastisch darzustellen, sondern vielmehr ihre Atmosphäre le-bendig werden zu lassen. Beides ist gelungen, zumindest in der Szene des Abendmahles. Wenn wir uns an die spanische Malerei des 18. Jahrhunderts erinnern, die in schwachen, fast düsteren Licht gehalten ist, so können wir dies auch in den Szenen wiederfinden, die die dunkeln Ideen dieser Epochen ausdrücken. Damit kontrastiert die Atmosphäre der Außenaufnahmen, in denen das lebendige, tropische Licht vorherrscht. das Bild des Kampfes gegen die Gewalt. Diese Gegenüberstellung wird in LA ÚLTIMA CENA durch eine bewußt fast konventionelle Aufnahmetechnik unterstützt, die einem nicht langsa-men, doch bedächtigen Rhythmus des Films im ersten Teil dient und im zweiten dem einer sehr schnellen Aktionsfolge. Im Rahmen der dramatischen Handlungsfolge gibt es zwei sehr schwierige Momente, die Tomás Gutiérrez Alea großartig löst. die Persönlichkeit des Grafen und die der zwölf Sklaven. Nelson Villagra, ein Exil-Chilene, stellt die Hauptfigur mit kreativer Einfühlsamkeit dar. Die Widersprüchlichkeit dieser Figur spiegeln sich zunächst in scheinbar positiven Handlungen wider, die schließlich immer negativer werden. In diesem Zusammenhang demonstriert Villagra sehr gut, daß die sogenannte Zivilisation letzten Endes 'Barbarei' ist. Dagegen hebt sich die Gruppe der Schauspieler ab, die die schwarzen Sklaven darstellen. Einige von ihnen sind Laiendarsteller, die in dem Maß, wie sie ein Eigenleben entwickeln, zu einem vorbildlichen Zusammenspiel mit viel szenischen Effekt beitragen. Der dialektische Widerspruch zwischen den beiden Klassen wird durch die Schauspieler in hervorragender Weise dargestellt. LA ÚLTIMA CENA korrespondiert mit jenen Filmen historischer Thematik, die Gutiérrez Alea mit immer sichtbareren Intentionen und einzigartigen Filmen kultiviert. Das Wichtigste dabei ist., daß LA ÚLTIMA CENA nicht nur die Vision Kubas im 18. Jahrhundert als Totalität darzustellen vermag, sondern auch als Kritik und Korrektur der Konzepte, die man in unserer Epoche notwendigerweise studieren muß, um diese Erfahrung zu verarbeiten."

Bohemia Nr. 47, Havanna 25.11.1977
(zit. n.: 8. Internationales Forum des Jungen Films: Informationsblatt Nr. 38, Redaktion Peter B. Schumann, Berlin 1978)


Letzte Bearbeitung VP 28.1.2016

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