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Tomás Gutiérrez Alea | Biographie | Filmographie | Interviews

MEMORIAS DEL SUBDESAROLLO

ERINNERUNGEN AN DIE UNTERENTWICKLUNG

Tomás Gutiérrez Alea, Cuba, 1968

97 Min., Spielfilm, ICAIC, s/w, 35 mm

Inhalt

"Sergio (Sergio Corrieri), ein etwa vierzigjähriger bürgerlicher Intellektueller, bleibt nach der Revolution in Kuba, obwohl seine Frau und seine Eltern das Land verlassen. Seine Beweggründe sind Trägheit und auch der Wunsch, sich mit der neuen Zeit auseinanderzusetzen. Er verliebt sich in Elena (Daisy Granados), ein einfaches Bürgermädchen, und versucht, sie nach seiner Vorstellung zu formen. Das Experiment mißlingt auf lächerliche Weise: Elenas Familie bezichtigt ihn der Vergewaltigung. er muß in einem Prozeß mühsam seine Unschuld beweisen. Auch die Bilanz seiner Erinnerungen und Gedanken endet negativ. Er spürt den Beginn einer neuen Zeit; aber er weiß, daß es für ihn zu spät ist, sich ihr anzupassen. Ein grüblerischer und spröder Film, der auf drei Ebenen spielt: die Gegenwart Sergios, seine Erinnerungen, in denen von verpaßten Chancen und Anpassung die Rede ist, und Dokumentaraufnahmen von politischen Ereignissen wie der Invasion in der Schweinebucht und die Raketenkrise um Kuba. Aus alledem formt sich das Porträt eines Mannes, dem wachsende Erkenntnis wachsende Unsicherheit beschert. Alea sagte zu seinem Film: »Nach meiner Meinung ist es besonders wichtig, das Verhältnis dieser Person zur Wirklichkeit kritisch darzustellen, so daß es uns möglich ist, durch diese Person auch beim Zuschauer eine kritische Haltung hervorzurufen - und zwar kritisch nicht nur gegenüber diesem bürgerlichen Intellektuellen, sondern auch gegenüber meinem Film und gegenüber unserer Wirklichkeit, die wir täglich erleben.«" Dieter Krusche: Reclams Film Führer, Stuttgart 1991, S. 356

"Ein Bourgeois bleibt, trotz der Flucht seiner Verwandten, nach der Revolution in Kuba. In der Einsamkeit seiner Luxuswohnung beginnt er, seine Memoiren zu schreiben. Seine Einsamkeit wächst, als auch sein Freund Fable das Land verläßt, vorübergehend scheint ihm eine Liebesaffäre neuen Halt zu geben. Er lernt Elena kennen, ein einfaches Mädchen aus dem Volk. Er versucht Elana zu formen, wie er es zuvor mit seiner Frau getan hat. Letztendlich wird aber klar, daß er keine echte Bindung eingehen kann. Er ist selbst zu haltlos, um einem anderen Menschen Halt zu geben. Die Affäre mit Elena findet einen ernüchternden, tragikomischen Abschluß: Elenas Eltern erfahren von dem Verhältnis. Als er sich weigert, ihre Tochter zu heiraten, laufen sie zur Polizei und zeigen ihn an. So kommt der bürgerliche Sergio eines Tages im revolutionären Kuba vor Gericht - angeklagt nicht eines politischen Verbrechens, angeklagt wegen Vergewaltigung ... Der Film von Tomás Gutiérrez Alea, einem der renommiertesten Regisseure Kubas, zählt mit seiner Offenheit und seinen wunderbaren Erzählrythmus zu den Sternstunden des kubanischen Kinos."

ARTE Programmheft, Nr. 11 1995, S. 47


Filmkritiken

"Strukturelle Dialektik, gesellschaftliche Widersprüche, die antithetische Konstruktion von Privat und Politisch, von Psyche und Sozietät, von Einzelnem und Staat - das ist ästhetisch konstitutiv für Tomás Gutiérrez Alea und seinen Film, dessen Titel in deutscher Übersetzung etwa lauten müßte 'Erinnerungen an Unterentwicklung' oder 'Erinnerungen an Zurückgebliebenes'. Schon der Titel verkündet Antinomisches: zurückgeblieben ist in Havanna ein ehemaliger Großbesitzer, nun enteignet und Staatsrentner, verlassen von Freunden und Frau; zurückgeblieben sind ihm Erinnerungen, aber es sind rückständige (in des Wortes doppelter Bedeutung), unterentwickelte Erinnerungen; zurückgeblieben, unterentwickelt ist auch das gesellschaftliche Bewußtsein, das Soziale. Alea demonstriert die Antinomie von Figur und Gegenwart durch das ohnehin zu dialektischen Bewegungen einladende Mittel der Montage, die exzessiv eingesetzt wird: Gegenwart (auch Dokumentarstreifen) und Vergangenheit (ebenfalls mit dokumentarischen Material) durchkreuzen sich, wobei Vergangenheit - wie es dem Prozeß des Erinnerns entspricht - keineswegs in einem einsinnigen zeitlichen Verlauf aufgeholt wird; die Zeitabfolge der Bilder ist eher assoziativ geordnet. Die Versuche des jetzt 38jährigen, müßiggehenden Helden, aus der Langeweile und Sinnlosigkeit, aus der gesellschaftlichen Irrelevanz seiner Existenz auszubrechen und sich mit der Gegenwart zu kopulieren, tragen das Kainsmal eines an Vergangenes orientierten Fetischismus: die neue Freundin muß die Kleider der ehemaligen Frau tragen. Fast nebenbei wird hier der Fetischcharakter von Erinnerung zum Bild, das dann auch auf die Accessoires eines überholten, regressiven Kulturbewußtseins paßt. Kunstgegenstände in der Wohnung des zurückgebliebenen Sergio werden wie ein Besuch in dem kubanischen Domizil von Hemingway zu Fluchtburgen der Vergangenheit, die kein Aysl mehr gewähren, Fetisch nämlich auch sie."

Filmkritik, Nr. 8 1968, S. 548



Letzte Bearbeitung VP 29.1.2016

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