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Wir fingen an, uns zu wiederholen


Gespräch der Tageszeitung mit Tomás Gutiérrez Alea und Miriam Talavera
über Aufbruch, Bürokratisierung und Perestroika

Photo: Ralf Emmerich

von Burkhard Straßmann


Burkhard Straßmann: "30 Jahre "Neues Kino" in Cuba: Was ist da noch neu?"

Tomás Gutiérrez Alea: "30 Jahre 'neu' kann man sagen, weil es vor 1959 kein cubanisches Kino gab. Drei Monate nach dem Sieg der Revolution wurde das cubanische Filminstitut gegründet. Produktion, Vertrieb und Verleih übernahm das Institut, die Kinos wurden verstaatlicht. Die Leitung übernahm eine Gruppe junger Leute - (lacht) damals junger! -, Intellektueller, die auch schon vor der Revolution anspruchsvolle Filme machen wollten."

Burkhard Straßmann: "Hatten Sie damals Kontakt zum europäischen Kino?"

Tomás Gutiérrez Alea: "Ja. Ich war in Rom und habe beim Centro Esperimentale studiert. Wir waren begeistert vom italienischen Neorealismus Anfang der 50er, z.B. Rossellini; sein Kameramann Martelli arbeitet nach der Revolution mit uns. Das war ein Kino, das unseren Möglichkeiten viel näher war als Hollywood. Nordamerikanisches Kino waren wir satt. Außerdem war es für uns zu teuer. Der Neorealismus war billig und näher an unserer Realität. Mein erster Film noch vor der Revolution war realistisch. Es ging um die Lebensbedingungen der Arbeiter, die die Kohle aus den Sumpfgebieten holten. Eine Geschichte, kein Dokumentarfilm. Der Film wurde ein Mal gezeigt und dann sofort von Batistas Polizei beschlagnahmt. Wir wurden verhaftet."

Burkhard Straßmann: "Würden Sie so einen Film heute noch machen?"

Tomás Gutiérrez Alea: "Nein, nein (lacht laut). Hoffentlich nicht. Er war naiv. Wir erkannten bald die Grenzen des Neorealismus. Die Realität in Cuba änderte sich täglich; zunächst entwickelten wir darum den Dokumentarfilm. Auch unsere Spielfilme wurden stark vom Dokumentarfilm beeinflußt."

Burkhard Straßmann: "Letzte Woche sahen wir Ihren Film BIS ZU EINEM GEWISSEN PUNKT, einen Spielfilm mit dokumentarischen Anteilen."

Tomás Gutiérrez Alea: "Das ist seit den 70ern eine Konstante der cubanischen Films. Das hatte sich spontan entwickelt. Die Revolution hatte sich institutionalisiert, an Dynamik verloren. Es reichte nicht mehr, mit der Kamera auf die Straße zu gehen. Ich habe gelesen, daß es in Cuba eine Debatte gibt um den cubanischen Film: Experimentierfreude sei verschwunden, von Bürokratie und Dogmatismus erstickt." Gut, es waren immer die gleichen Leute, die Filme machten, wir fingen an, uns zu wiederholen. Auch der Film, und auch wir haben uns bürokratisiert. z.B. jedes Filmprojekt mußte zur Leitung des Instituts, Drehbuch, erster Schnitt, jeder Schritt mußte vorgelegt werden. Aber es gibt Veränderungen seit '88. Jetzt sieht die Leitung den Film erst, wenn die Kopie fertig ist."

Burkhard Straßmann: "Miriam Talavera, wir haben einen Film über 'Machismo' gesehen; gibt es Machismo auch unter cubanischen Regisseuren?" (Heiterkeit);

Miriam Talavera: "Der Film sagt eigentlich genau das. Der Intellektuelle ist genauso wie die anderen."

Burkhard Straßmann: "Hat eine Regisseurin in Cuba mehr Probleme als ihr männlicher Kollege? Unterscheiden sich ihre Filme?"

Miriam Talavera: "Ich meine nicht. Aber es gibt wenige Regisseurinnen in Cuba. Die Frauen haben viel nachzuholen. An eine besondere weibliche Ästhetik glaube ich nicht."

Burkhard Straßmann: "Wie wirkt sich die Perestroika auf das cubanische Kino aus? Kommt Hollywood wieder?"

Tomás Gutiérrez Alea: "Trotz der Blockade haben wir immer nordamerikanische Filme gesehen, auch wenn wir illegal über Drittländer Kopien ziehen mussten. Die Veränderungen in Osteuropa bringen uns und unseren Nachbarn sehr große wirtschaftliche Probleme."

Miriam Talavera: "Das große Kapital investiert jetzt in Osteuropa, in die besser entwickelten Kolonien; seit der Ostblock kein Gegengewicht mehr ist, wird es immer arroganter und aggressiver, siehe Panama."

Tomás Gutiérrez Alea: "Für den Film heißt das: Dieses Jahr sollten 10 Filme gedreht werden, es gibt aber nur acht. Unseren Nachbarn geht es aber noch schlechter: In Brasilien weiß man nicht, ob 1990 überhaupt ein Film gedreht wird, sonst waren es hundert."

Burkhard Straßmann: "Ich höre, Sie, Herr Alea, wollen sich das Rauchen abgewöhnen. Ist die Nichtraucherbewegung ein erstes Zeichen für Perestroika in Cuba?" (Erhebliche Heiterkeit);

Tomás Gutiérrez Alea: "Fidel raucht auch schon vier Jahre nicht mehr, seit dem Beginn einer Anti-Raucher -Kampagne. Wir haben in Köln Schnupftabak gesehen, den wollen wir für eine Übergangsphase nehmen."

Burkhard Straßmann in: Die Tageszeitung Bremen 12.6.1990



Letzte Bearbeitung VP 29.1.2016

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