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Interview mit Tomás Gutiérrez Alea
von Juliane Burton

Juliane Burton: Es besteht ein großer formaler Unterschied zwischen einem Film wie MEMORIAS DEL SUBDESAROLLO (ERINNERUNGEN AN DIE UNTERENTWICKLUNG), bei dem man sich ständig fragen muß, wie eine Sequenz zu der nächsten in Beziehung steht, und einem Film wie LA ÚLTIMA CENA mit seiner mehr traditionell orientierten Erzählweise. Sehen Sie in diesem Wechsel etwas Charakterisches für die gegenwärtige Filmproduktion?

Tomás Gutiérrez Alea: Ich meine, dies liegt bei LA ÚLTIMA CENA am Thema selbst, das auf einer einfachen Anekdote basiert und infolgedessen sehr linear ist. Es gibt keinen Grund, diese Thema in ein komplizierte Form zu bringen, es anders zu strukturieren als nach einem organischen und natürlichen Prinzip, wie es dem zentralen Anliegen des Themas entspricht. Mir scheint, dass sich dies bei historischen Filmen mehr oder weniger immer so verhält, weil man hier die Dinge klarer sehen kann

Juliane Burton: LA ÚLTIMA CENA ist der erste Film, den Sie in Farbe gedreht haben. Gab es für Sie einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Arbeiten in schwarzweiß und in Farbe?

Tomás Gutiérrez Alea: Ich habe festgestellt, dass sich durch die Farbe viel mehr Möglichkeiten bieten. Es ist viel interessanter, mit Farbe zu arbeiten, so lange man sich dabei an eine gewisse Disziplin hält. Ich glaube, dass wir in LA ÚLTIMA CENA mit der Farbe etwas Großartiges geleistet haben. Das ist hauptsächlich dem Kameramann Mario García Joya zu verdanken, der auch Kameramann in UNA PELEA CUBANA CONTRA LOS DEMONIOS (EIN KUBANISCHER KAMPF GEGEN DIE DÄMONEN) war. LA ÚLTIMA CENA ist sein zweiter Spielfilm, dazwischen drehte er viele Dokumentarfilme. Er hat ein System sehr intensiver und genauer Farbanalyse entwickelt. Schließlich ist die Farbe ein weiteres Ausdrucksmittel und insofern natürlich von großer Attraktionskraft für mich.

Juliane Burton: Hat die Tatsache, dass der Film in Farbe gedreht wurde, sie auch im Hinblick auf andere Stilmittel beeinflusst? Hätten Sie den Film in schwarzweiß anders gemacht?

Tomás Gutiérrez Alea: Diese Frage habe ich mir bisher nicht gestellt, aber ich glaube, ich hätte nach anderen Lösungen suchen müssen, um eine ähnliche Atmosphäre in schwarzweiß zu erschaffen. Die Szene des Abendmahls z.B., die in einer Art Ocker-Farbe gehalten ist, einer Beleuchtung, wie sie dem Kerzenlicht entspricht, wäre in schwarzweiß sehr schwer zu drehen gewesen.

Juliane Burton: Eine konkrete Frage nach der Rolle von Don Gaspar, dem Franzosen, der nach der Revolution in Haiti nach Kuba auswanderte und jetzt auf der Zuckerplantage des Grafen als Ingenieur arbeitet. Wie sehen Sie seine Rolle im Zusammenhang der sozialen Struktur, die im Film dargestellt wird?

Tomás Gutiérrez Alea: Don Gaspar ist ein Techniker und als solcher repräsentiert er eine Art Archetypus. Damals befand er sich zwischen der Klasse der Landbesitzer und Sklavenhalter und den Sklaven selbst. Seine Position ist die einer Person, die ein Geheimnis besitzt, das heißt eine besondere Fähigkeit, die er dem Grafen verkaufen und durch die er sich ein bestimmtes Maß an Freiheit verschaffen kann. Als Lohn empfangender Angestellter ist er zwar auch weiterhin von dem Landeigentümer abhängig, jedoch nicht im gleichen Maße wie die Sklaven. Dadurch, dass er aus Haiti kommt, ist er mehr von der französischen Kultur, den Ideen der französischen Revolution usw. geprägt. Man könnte ihn am ehesten mit den Positionen der Freimaurer jener Zeit identifizieren. er spielt eine fortschrittliche Rolle, als Philanthrop, der mehr Gleichheit im Verhältnis zu seinen Mitmenschen herstellen wird. Seine Vorstellung von Gerechtigkeit ist ziemlich abstrakt, um das mindeste zu sagen, aber zumindest fühlt er sich durch die Ungerechtigkeit um ihn herum gestört. Wir entdecken im Verlauf der Arbeiten an diesem Film, dass diese Person äußerst interessant ist, viel zu interessant. Wir wagten es nicht, seine Person so weit zu entwickeln, wie es ihrer Bedeutung nach eigentlich verlangen würde, weil wir dann einen anderen Film hätten drehen müsse. Wir mussten seine Funktion in dem Film auf die eines Zuschauers beschränken, der uns, d.h. dem Publikum des Films näher steht. Seine Rolle besteht darin, wichtige Momente des Films zu unterstreichen - als ein Zuschauer, der die Dinge mit einem kritischen Blick betrachtet.
Juliane Burton:
Individual Fulfillment and Colletive Achievement. An Interview with Tomás Gutiérrez Alea. In: Cineaste (New York), Januar 1977 (zit. n.: 8. Internationales Forum des Jungen Films: Informationsblatt Nr. 38, Redaktion Peter B. Schumann, Berlin 1978)


Letzte Bearbeitung VP 29.1.2016

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