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Tomás Gutiérrez Alea | Biographie | Filmographie | Interviews

Tomás Gutierrez Alea

Ein filmisches Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit

Tomás Gutiérrez Alea studierte Rechtswissenschaften an der Universität von Havanna, zur gleichen Zeit wie Fidel Castro. Während seines Studiums drehte er mit seiner Super-8-Kamera erste humoristische und satirische Kurzfilme: LA CAPERUCITA ROJA (DIE ROTE MÜTZE, 1946), EL FAQUIR (DER FAKIR, 1947) und nach einer Erzählung Kafkas UNA CONFUSIÓN COTIDIANA (EINE TÄGLICHE VERWIRRUNG 1950). Nach dem Jura-Examen an der Universität von Havanna 1951 ging er zusammen mit Julio Gacía Espinosa nach Rom, wo er am Centro Sperimentale di Cinematografia eine Regieausbildung absolvierte. Hier lernte er die Cineasten Fernando Birri aus Argentinien, Gabriel García Márquez aus Kolumbien, Oscar Torres aus der Dominikanischen Republik und den Kameramann Néstor Almendros kennen.

Ein Lehrer von Tomás Gutiérrez Alea am Centro Sperimentale di Cinematografia war der italienische Filmregisseur Cesare Zavattini. Als Abschlußarbeit am Centro Sperimentale di Cinematografia schrieb Tomás Gtiérrez Alea das Drehbuch für IL SOGNO DI GIOVANNI BASSAIN (DER TRAUM VON GIOVANNI BASSAIN, 1953), einen Kurzfilm auf 35 mm, und betätigte sich als Regieassistent.

Beeinflußt vom italienischen Neorealismus, kehrte Tomás Gutiérrez Alea 1953 nach Cuba zurück und wurde Mitglied der fortschrittlichen Kulturorganisation Unsere Zeit (Sociedad Cultural Nuestro Tiempo), der auch Alfredo Guevara, Santiago Alvarez, Julio Gacía Espinosaund José Massip angehörten. Nach Auffassung der cubanischen Cineasten verfügte der Neorealismus über die besten Erfahrungen, um eine authentische Kinokultur in Cuba aufzubauen. Gemeinsam mit Julio Gacía Espinosa drehte Tomás Gutiérrez Alea 1955 den 20-minütigen Dokumentarfilm EL MÉGANO (DAS KÖHLERDORF) über das Leben von Köhlern und Holzarbeitern in den Sümpfen von Zapata südlich von Havanna. Obwohl der Film keine direkten Anklagen gegen die Batista-Diktatur enthielt, wurde er verboten, und einige an ihm Beteiligte wurden verhaftet. Heute gilt EL MÉGANO als Ausgangspunkt für das Neue Cubanische Kino.

1957 arbeitete Tomás Gutiérrez Alea als Regisseur bei der Wochenschau CINE REVISTA, die der Mexikaner Manuel Barbachano auf Cuba produzierte und aus der die Techniker für das 1959 gegründete cubanische Filminstitut kamen. Für CINE REVISTA realisierte Tomás Gutiérrez Alea 1957 den Dokumentarfilm: LA TOMA DE LA HABANA POR LOS INGLESES (DIE EINNAHME VON HAVANNA DURCH DIE ENGLÄNDER).

Gemeinsam mit Julio García Espinosa baute er die Filmabteilung der Rebellen-Armee auf und beteiligte sich am Aufstand gegen die Batista-Diktatur. Nach der siegreichen Revolution realisierte Tomás Gutiérrez Alea 1959 seinen kurzen Dokumentarfilm ESTA TIERRA NUESTRA (DAS IST UNSER LAND) über die Bauernvertreibung in Cuba vor dem Sieg der Revolution und unterstützte Julio García Espinosa bei dem Dokumentarbericht über die Feier zum 6. Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba SEXTO ANIVERSARIO (SECHSTER JAHRESTAG). An der Gründung und am Aufbau des cubanischen Filminstitus Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematográficos (ICAIC) war er 1959 gemeinsam mit Alfredo Guevara, Santigo Alvarez, José Massip, Manuel Octavio Goméz und Julio Garcia Espinosa beteiligt.

1960 drehte Tomás Gutiérrez Alea den Dokumentarfilm ASAMBLEA GENERAL (GENERALVERSAMMLUNG) über die Versammlung, auf der die 1. Deklaration von Havanna angenommen wurde. Den ersten Spielfilm nach der Revolution verwirklichte Tomás Gutiérrez Alea 1960: HISTORIAS DE LA REVOLUCIÓN (GESCHICHTEN DER REVOLUTION) Dieser Episodenfilm spannt ein weites Bild vom Kampf des cubanischen Volkes gegen die Diktatur Fulgencio Batistas (1952 - 1958). Kameramann zweier Episoden war Otelleo Martelli, der bereits in Italien bei Roberto Rossellinis STROMBOLI, TERRA DI DIO (1949) und Federico Fellinis LA DOLCE VITA (DAS SÜßE LEBEN, 1959) die Kamera führte. Für die cubanische Wochenschau drehte Tomás Gutiérrez Alea 1961 zusammen mit Santiago Alvarez den Dokumentarfilm MUERTE AL INVASOR (TOD DEN INVASOREN) über die gescheiterte Invasion der Exilcubaner in der Bahia de Cochinos (Schweinebucht).

Nach dem russischen Roman von I. Ilf und J. Petrow verwirklichte er 1962 seinen satirischen Spielfilm LAS DOCE SILLAS (DIE ZWÖLF STÜHLE), in dem die Reste der bürgerlichen Ordnung mit Spott und Ironie dem Gelächter der neuen Ordnung ausgeliefert werden. 1964 verfilmte er den Roman 'Governeur de la rose' (Herr über den Tau) von Jacques Romain: CUMBITE (BESCHWÖRUNG). Der Film zeigt die Bewohner eines haitianisches Dorfes im 19. Jahrhundert, die sich in einer Genossenschaft organisieren.

Mit LA MUERTE DE UN BURÓCRATA (DER TOD EINES BÜROKRATEN, 1966), einer bissigen Satire über die wuchernde Bürokratie in Cuba (und nicht nur dort), zeigte er seine filmischen Vorlieben (Buñuel, Bergman). Eine Anfangssequenz des Films ist eine Hommage an Juan Carlos Tabío, an einen jungen cubanischen Dokumentarfilmemacher. Seitdem verband Tomás Gutiérrez Alea mit ihm eine tiefe Freundschaft, die sich auch in der gemeinsamen Arbeit - in Filmen wie SE PERMUTA (WOHNUNG ZU TAUSCHEN, Cuba, 1983) von Juan Carlos Tabío, für den er die Idee lieferte - niederschlug. Beide arbeiteten in der Gruppe 'Rociante', einer der drei Produktionsgruppen des ICAIC. Das Drehbuch für seinen Spielfilm HASTA CIERTO PUNTO (BIS ZU EINEM GEWISSEN PUNKT, 1984) schrieb Juan Carlos Tabío. Als Tomás Gutiérrez Alea Anfang der 90er Jahre schwer krank wurde, machten sie gemeinsam FRESA Y CHOCOLATE und GUANTANAMERA.

In dem Spielfilm MEMORIAS DEL SUBDESAROLLO (ERINNERUNGEN AN DIE UNTERENTWICKLUNG, 1968), der großen Zuspruch bei den Kritikern in Nordamerika fand, mischt er Spiel- und Dokumentarfilmsequenzen. Sergio, ein vierzigjähriger bürgerlicher Intellektueller, bleibt nach der Revolution in Cuba, obwohl seine Frau und seine Eltern das Land verlassen haben.

Ein Weggefährte Tomás Gutiérrez Aleas, Néstor Almendros, der in den 60er Jahren einen Dokumentarfilm über die Verfolgung der Homosexuellen in Cuba realisierte, verließ Ende der 60er Jahre Cuba und arbeitete dann für Claude Chabrol, François Truffaut, Robert Benton, Mike Nichols und Andrew Solt. Für DAYS OF HEAVEN (IN DER GLUT DES SÜDENS, Terrence Malick, 1978) wurde Néstor Almendros mit dem Oscar ausgezeichnet.

Tomás Gutiérrez Aleas historischer Spielfilm UNA PELEA CUBANA CONTRA LOS DEMONIOS (EINE CUBANISCHE SCHLACHT GEGEN DIE DÄMONEN, (1971) nach dem gleichnamigen Werk des cubanischen Forschers Fernando Ortiz spielt im Cuba des 17. Jahrhunderts.

Für weitere cubanische historische und alltagsbezogene Filme schrieb Tomás Gutiérrez Alea das Drehbuch und war als Dramaturg tätig: 1974 EL OTRO FRANCISCO (DER ANDERE FRANCISCO) von Sergio Giral und DE CIERTA MANERA (IN GEWISSER HINSICHT) von Sara Gómez. Sara Gómez, eine der wenigen cubanischen Filmemacherinnen, schildert in ihrem Film die Konflikte einer Lehrerin, zweier Arbeiter und eines Strafentlassenen, die sich vor Probleme gestellt sehen, die sie nicht zu lösen vermögen.

1974 drehte er den Dokumentarfilm EL ARTE DE TABACO (DIE KUNST DER ZIGARRE) über den manuellen Herstellungsprozeß einer Zigarre. Sein 1974 begonnener Dokumentarfilm LA BATALLA DE GUISA (DIE SCHLACHT VON GUISA) blieb unvollendet. 1975 reiste er in den Jemen und war Aufnahmeleiter beim Dokumentarfilm EL CAMINO DE LA MIRRA Y EL INCIENSO (DER WEG VON WEIHRAUCH UND MYRRHE) über die jemenitische Revolution, der 1978 von Constante Diego fertiggestellt wurde.

1977 reiste Tomás Gutiérrez Alea nach Azerbaizhan und war Aufnahmeleiter bei LA SEXTA PARTE DEL MUNDO (DER SECHSTE TEIL DER WELT) von Julio García Espinosa. Ein weiterer historischer Spielfilm über das Begreifen der Probleme der Sklaverei aus aktueller Sicht folgte 1976 mit LA ÚLTIMA CENA (DAS LETZTE ABENDMAHL), der Ende des 18. Jahrhunderts in Cuba spielt. Der Besitzer einer Zuckerrohr-Plantage, ein religiöser Graf aus Havanna, lädt in der Karwoche zwölf seiner Sklaven zu einem symbolischen Abendmahl ein.

Kameramann bei seinem ersten Film in Farbe war Mario García Joya, der auch UNA PELEA CUBANA CONTRA LOS DEMONIOS, EL ARTE DE TABACO, LA ÚLTIMA CENA, LOS SOBREVIVIENTES, HASTA CIERTO PUNTO, CARTAS DEL PARQUE , FRESA Y CHOCOLATE und Jorge Ali Trianas TIEMPO DE MORRIR (ZEIT DER RACHE, Kolumbien, Cuba 1985) nach dem Drehbuch von Gabriel García Márquez filmte.

1978 folgte Tomás Gutiérrez Aleas Spielfilm LOS SOBREVIVIENTES (DIE ÜBERLEBENDEN), eine Hommage an Buñuels EL ÁNGEL EXTERMINADOR (DER WÜRGEENGEL, Mexiko 1962). Eine bürgerliche Familie aristokratischen Ursprungs beschließt nach dem Sieg der Revolution, in Cuba zu bleiben und sich auf ihrem Gut einzuigeln, bis die Revolution vorbei ist.

In HASTA CIERTO PUNTO (BIS ZU EINEM GEWISSEN PUNKT, 1984), einer Liebesgeschichte zwischen dem Drehbuchautor Oscar und der Hafenarbeiterin Lina, setzt sich Tomás Gutiérrez Alea kritisch mit dem weitverbreiteten 'Machismo' in Cuba auseinander. Hauptdarstellerin in HASTA CIERTO PUNTO ist Tomás Gutiérrez Aleas Lebensgefährtin Mirtha Ibarra, die auch in seinen Spielfilmen CARTAS DEL PARQUE (BRIEFE AUS DEM PARK, 1988), einer einfache und romantische Liebesgeschichte aus dem vorrevolutionäre Cuba nach einem Text Gabriel García Márquez; FRESA Y CHOCOLATE und GUANTANAMERA ihre schauspielerischen Qualitäten zeigte.

1991 verwirklichte er nach einer Idee von Gabriel García Márquez den Kurzfilm CONTIGO EN LA DISTANCIA. Der Film ist einem Bolero von César Portillo de la Luz aus den fünfziger Jahren mit gleichem Titel gewidmet.

Sein international bekanntester Film FRESA Y CHOCOLATE (ERDBEER UND SCHOKOLADE, 1993) erhielt 1995 eine Oscarnominierung und wurde bei den 44. Internationalen Filmfestspielen in Berlin mit dem Silbernen Bären und dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet. Sein letzter Film GUANTANAMERA (1995) widmet sich den Schwierigkeiten des cubanischen Alltags, am Ende des Films bleibt der dogmatische Funktionär alleine im Regen stehen. In einer längeren Sequenz widmet er sich der afro-cubanischen Kultur, einer der Wurzeln der cubanischen Identität, und dem Nachdenken über den Tod.

Er hinterlässt nicht nur beeindruckende Filme, sondern auch zahlreiche Essays, die sich mit dem Medium Film beschäftigen, wie der bekannteste Essay: 'Dialéctica del espectador' (Dialektik des Zuschauers), der ins Italienische, Englische und Portugiesische übersetzt wurde.

In Deutschland zu Gast war er beim Internationalen Forum des Jungen Films in Berlin mit zwei Filmen: LA ÚLTIMA CENA (8. Forum, 1978) und HASTA CIERTO PUNTO (14. Forum, 1986). Bei seiner Deutschlandtournee 1990 war Tomás Gutíerrez Alea zusammen mit Miriam Talavera, die seine Filme HASTA CIERTO PUNTO, CARTAS DEL PARQUE sowie FRESA Y CHOCOLATE am Schneidetisch bearbeitete, und Juan Carlos Tabío Gast der Filmwerkstatt Münster, wo ich ihn kennen lernte. Von ihm und seinen Filmen habe ich viel über Cuba, Lateinamerika und seine Menschen erfahren, sein filmisches Engagement für Toleranz und Menschlichkeit hat sich in meinem kinematographischen Gedächtnis eingeprägt.

Volker Pade

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